Mamas 65. in Nienhagen

Die letzte Woche war kurz aber intensiv für uns beide, die vier Tage an der Ostsee zu Mamas Jubiläumsgeburtstag passen uns gut rein. Gestern Nachmittag kommen wir nach langer aber kurzweiliger Fahrt in Rostock an. Ich war ewig nicht mehr hier, das letzte Mal im Januar 2020 auf der Durchreise von Warnemünde zurück nach Köln—nach der Beerdigung meiner Oma. Bestes Ostsee-Wetter grüßt uns: Sonne, 18 °C und immer etwas Wind. Herrlich! Meine Eltern erwarten uns am Bahnsteig und nach großem Hallo fahren sie uns zu unserer Unterkunft in Nienhagen. Es geht vorbei an Rostock-Lichtenhagen, an den Sonnenblumen in der Mecklenburger Allee. Was für ein degenerierter Haufen sind wir eigentlich, dass rechtsextreme Verbrechen wie damals heute wieder Konjunktur haben. Ein kurzer Gedankenblitz, der sich während der Fahrt vorbei an Mohnfeldern verliert. Wut und Urlaubsgefühl können in mir koexistieren.

Die Ferienwohnung hat alles, was ich mir von einer FeWo wünsche: voll ausgestattete Küche, gemütliche Möbel, Krimis der üblichen Autor*innen im Regal, ein Balkon Richtung Osten für den Kaffee am Morgen, in dessen Anwesenheit auch gerade diese Zeilen entstehen. Hier lässt es sich aushalten. Ich schwelge mit meinen Eltern in Erinnerungen, denn Ostsee-Urlaub in einer Ferienwohnung gehörte lange zum Standardprogramm des Jahres, meistens zu Pfingsten und immer bei Oma in Warnemünde. Die Anzahl baltischer Kurzurlaube liegt bei mir sicherlich im zweistelligen Bereich. Wir ziehen weiter in das Landhaus Nienhagen zum Abendessen und um meiner Mama ihre Geschenke zu überreichen. Sie freut sich sichtlich und das vorzügliche Essen schmeckt deswegen vielleicht noch ein kleines bisschen besser. Die Menschen um uns herum reden „fischköppsch“, wie ich dazu—inspiriert durch meinen Bruder—als Kind immer sagte. Das ist gar nicht respektlos gemeint, will ich doch eigentlich gern genauso reden und den ganzen Tag völlig selbstverständlich „Moin“ sagen.

Der kurze Verdauungsspaziergang führt uns zur Steilküste von Nienhagen, wo auch das Photo zu dieser Notiz entstanden ist. Die Ostsee ist wild, die Sonne tief und die ganze Szene lädt zum In-die-Ferne-starren ein; von außen betrachtet müssen wir wie ein Caspar-David-Friedrich-Gemälde ausgesehen haben. Hier will ich unbedingt noch einmal hin.

Zurück in unserer nur einige Minuten entfernten FeWo lassen wir den Tag bei Schogetten ausklingen. Noch so eine Sache, die hart mein inneres Kind kanalisiert; meine Eltern haben immer was zu Naschen in der Nähe! Denn ohne sind gute Gespräche ja auch irgendwie Quatsch :)

Jetzt bin ich seit 05:00 wach, schleiche durch die Wohnung, prüfe was meine Eltern so alles an Verpflegung eingepackt haben—sieht sehr gut aus—und warte darauf, dass das Geschrei der Möwen die anderen weckt.

Urlaubsgefühle

Obwohl: Ich finde es ja fantastisch, dass meine Eltern lange schlafen können und nicht von seniler Bettflucht geplagt in den dunklen Morgenstunden schon durch die Gegend geistern. So richtig Leben kehrt in unsere Bude also erst einige Stunden später ein und während Katharina noch einen Call hat, bereiten die Mäxe das Frühstück vor.

Den Vormittag verbringen wir am Nienhäger—nicht Nienhagener!—Strand, wohin uns der von meinen Eltern neu entdeckte Bus bringt. Dank Deutschlandticket fühle ich mich auch 600 km von zu Hause entfernt sehr mobil. Das Wetter erlaubt es, uns am Strand zu aalen und spätestens jetzt bin ich so richtig im Urlaubsmodus. Die Szenerie an der Küste von Nienhagen ist einmalig: Meer trifft hier auf Steilküste und über dem Sand thronen und mahnen die hochgewachsenen Bäume des Gespensterwaldes—durchschnittlich 25 cm Steilküste wird hier durch besonders starke Seewinde pro Jahr abgetragen. Beim Spaziergang durch den Wald werden wir wiederholt vor der einsturzgefährdeten Kliffkante gewarnt. Ein bisschen memento mori im Urlaubsparadies.

Nach einer ausgedehnten Mittagspause fahren wir zur Warnemünder Werft und sammeln meinen Bruder an der S-Bahn-Haltestelle ein. Endlich komplett, beginnt die volle Dröhnung Warnemünde und damit das Heraufbeschwören vieler schöner Erinnerungen meiner Kindheit und Jugend: Alter Strom, Spaziergang zum Strand und auf die Westmole (grüner Leuchtturm), Abendessen im Twee Linden, Zimtspitze vom Dänischen Eisparadies und schließlich dieses Eis auf Gedeih und Verderb gegen die reudigen Möwen verteidigen. Und das ist nur der Freitag!

Samstag geht es nahtlos so weiter, nur dass ich sogar in die Ostsee springe. Die 18°C sind überraschend angenehm und ich schwimme eine Dreiviertelstunde durch die Gegend. Schwimmen ist für mich nach wie vor the closest thing to flying. Nach einem Kaltgetränk im Liegestuhl—ja, das allgemeine Chill-Level ist hoch bei allen Beteiligten—wandern wir an Küste und Feldern vorbei zur FeWo zurück. Eine Siesta-Länge später fahren wir zum Warnemünder Fischmarkt und decken uns für das Abendbrot mit Saibling, Butterfisch, Brathering und Flunder ein. Wir machen uns einen gemütlichen Abend daheim, gehen zum Sonnenuntergang noch einmal zur Treppe vom Photo und quatschen über dieses und jenes. Ich bin so dermaßen entspannt und selig … dieses Maß an Urlaubsgefühl hätte ich einem viertägigen Trip nicht zugetraut. Ein großes Lob an meine Eltern, dass sie die dafür nötige Atmosphäre geschaffen haben.

Wir beschließen diesen ultra-erholsamen Kurzurlaub mit einem phänomenalen Sonntagsbrunch im Kliff 17, bevor Brudi zurück nach Berlin und Katharina und ich zurück nach Köln fahren. Meine Eltern bleiben noch eine Nacht an der Küste. Die Rückfahrt ist entspannt und ereignislos. Mein Zustand muckelig-dankbarer Zufriedenheit und Freude wird mich noch ein paar Tage begleiten.