Museum der Museen im Wallraf-Richartz-Museum

Eine Ausstellung über das Ausstellen. Klingt so spannend wie eine Handvoll Sand, entpuppte sich für mich am heutigen KölnTag aber als spaßige Zeitreise—eingeleitet durch die Foto-Reihe Menschen im Museum von Barbara Klemm (* 1939). Ein Spiegel daneben macht klar: Hier geht es um die Rezipienten. Keine Kunst ohne Betrachter*in.

Schwarz-weiß Fotografie. Engagiert diskutierende Louvre-Besucher vor dem Gemälde „Die Freiheit führt das Volk“ von Eugène Delacroix, das unschafr im Hintergrund sitzt.
Barbara Klemm, Menschen im Museum (Louvre, 1987).

Die Reise beginnt in einer sogenannten Wunderkammer—mehr ein Spleen der Reichen und Schönen im 16.–18. Jahrhundert, als ein Museum; zumal meist nicht öffentlich zugänglich. Erst die Aufklärung öffnet Museen einem breiteren Publikum und unterstützt dieses in seinem Bedürfnis nach Teilhabe. Davor darf ich noch einen Blick auf die überfordernde Hängung des Barock werfen—für mich aber nur noch ein historisches Kuriosum und als ernsthafte Option nicht mehr relevant. Caspar David Friedrich hat es auf den Punkt gebracht:

Es macht immer einen widrigen Eindruck auf mich, in einem Saal oder Zimmer eine Menge Bilder wie Ware aufgestellt oder aufgespeichert zu sehen, wo der Beschauer nicht jedes Gemälde für sich getrennt betrachten kann, ohne zugleich vier Halbe andere Bilder mitzusehen.

—Caspar David Friedrich (1774–1840), Äußerungen bei Betrachtung einer Sammlung von Gemählden (ca. 1830)
Eng gehangene Miniaturgemälde mit goldenem Rahmen. Ein freizügiger Liebesakt kann mit einem kleinen grauen Vorhang verdeckt werden.
Wem hier nicht die enge Hängung, sondern der freizügige Liebesakt eines unbekannten Meisters die Schamesröte ins Gesicht treibt, kann sich ja mit dem kleinen Vorhang Abhilfe verschaffen. Die spinnen, die Barocker.

Mit dieser Meinung war er ungefähr 150 Jahre zu früh dran, denn erst im 20. Jahrhundert wird die Hängung im Museum progressiver, luftiger auf heller Wand, mit mehr Autonomie für jedes einzelne Werk, auf Augenhöhe der Besucher*innen. Erst jetzt kann man wirklich vom Museumsspaziergang sprechen, ganz ohne Nackenkrampf. Dass Kunst und das Urteilen darüber nun auch der breiten Masse offensteht, behagt nicht jedem. Künstler wie Albert Robida (1848–1926) und Honoré Daumier (1808–1879) widmen einen großen Teil ihrer Aufmerksamkeit den nur oberflächlich Interessierten mit fragwürdiger Urteilskompetenz. Dieser Spott ist zeitlos und bemerkenswert: auf einmal finden sich die passiven Betrachter—und vor allem die Blender und Emporkömmlinge—mitten im Betrachteten. Ein großartiger Spaß!

Lithografie. Zwei Männer sitzen auf einer Bank im Museum, im Hintergrund sind weitere Besucher und Skulpturen zu sehen. Ein Mann gähnt. Der ander meint: „Was ich besonders schätze im Skulpturensaal: man findet immer eine freie Bank!“.
Honoré Daumier, „Was ich besonders schätze im Skulpturensaal: man findet immer eine freie Bank!“, veröffentlicht in der Serie Croquis pris à l’Exposition in Le Charivari am 13.06.1864, Lithographie, Privatsammlung Prochnow-Seiffert.

Damit nimmt der Spötter vorweg, was das weitere 20. Jahrhundert bestätigt: Das Museum ist ein Ort der Spießbürgerlichkeit! Geschmacksorientierte Hängungen der Museumsdirektoren, eindimensionale Präsentation und wenig produktiver Austausch lassen den einstigen Hort der Künste und Wissenschaften altbacken und wirklichkeitsfern wirken. Neue Ausstellungskonzepte müssen her.

Das Wallraf-Richartz-Museum präsentiert zwei: das Musée sentimental von Daniel Spoerri (* 1930) und Marie-Louise von Plessen (* 1950) und Rolywholyover. A Circus von John Cage (1912–1992).

Marie-Louise von Plessen lässt ihr Konzept im Wallraf-Richartz-Museum noch einmal aufleben, nachdem es 1977 im Centre Pompidou Premiere feierte und mittlerweile etabliert ist: Kunstwerke und historisch Bedeutsames wird dabei mit Objekten des Alltags vermischt. Das Schwere trifft auf das Leichte, das Aufmerksamkeit bannende auf das Triviale. Das lockert auf, führt zu dem ein oder anderen Lächeln, berührt das Publikum. So jedenfalls die These… bei mir hat das allerdings nicht gut funktioniert. Ich werde dem Konzept in Zukunft aber gern noch eine Chance geben, denn Alltagsgegenstände, die die Geschichte von dir und mir und eben nicht vom großen Ganzen erzählen, haben zweifelsohne ein enormes Potenziel zu berühren. Orhan Pamuk hat Recht, wenn er sagt:

All der Museen, die die Geschichte eines Volkes, einer Gemeinschaft, einer Gruppe, eines Staates, eines Geschlechtes, eines Unternehmens zeigen, sind wir allmählich überdrüssig. Wir wissen nämlich, dass die Geschichten einzelner Menschen ungleich reichhaltiger, menschlicher und fröhlicher sind als die Historie sämtlicher großer Gemeinschaften.

—Orhan Pamuk, Ein bescheidenes Museumsmanifest (2012)

Der Zufallszirkus von John Cage hat es mir aber noch einmal mehr angetan. Das Konzept empfinde ich als simple, but not easy: Benachbarte Museen werden gebeten, zufällige Exponate ihrer eigenen Sammlung zur Verfügung zu stellen. Die Anordnung im Raum geschieht ebenfalls zufällig, was auch die Verbannung auf Zeit in das einsehbare Depot im Ausstellungsraum einschließt. Denn: Anordnung und Auswahl der Exponate sollen während der Ausstellung regelmäßig verändert werden. Chaos, Anarchie und Unvorhersehbarkeit sind hier vorprogrammiert und erwünscht, Wandbeschriftungen gibt es nicht. Das ist irgendwie geil und macht jeden Museumsbesuch zu einer zutiefst individuellen Erfahrung; genau wie in der Wunderkammer, mit der alles anfing.

Ich bin gespannt, wohin die Reise der Ausstellungsinszenierung und Museumspädagogik noch führt—Interaktion, AR/VR/XR, Performance-Kunst; vieles ist vorstellbar. Die Kurator*innen des Wallraf-Richartz-Museums haben hier einen eindrucksvollen Querschnitt durch 500 Jahre „wir schauen uns die kreativen Ergüsse Anderer an“ geschaffen und liefern auch das Schlusswort für diese Notiz:

Bei allem voraussichtlichen Wandel aber bleibt eines gewiss: Gerade in Zeiten von Fake News und rasanter Beschleunigung bleibt die Begegnung mit dem authentischen Artefakt an dem entschleunigten Ort des analogen Museums unersetzlich.

—Anne Buschhoff, Wulf Herzogenrath, Ricarda Hüpel

2024-12-04: Zwischen Nackenstarre und Kunstgenuss

Völlig zu Recht hat Honoré Daumier seit dem 29. November seine eigene Ausstellung im Wallraf-Richartz-Museum. Passenderweise ist morgen wieder KölnTag 😏 Die Ausstellung geht noch bis 23.03.2025.