Kino-Flatrate mit Cineville

Zu meinem Geburtstag beschenkten mich Katharina und meine Schwiegermama besonders reich—mit einem Abo von Cineville. Für ein halbes Jahr kann ich so oft ich will in ausgewählte Kinos in Deutschland gehen. Ich bin völlig hin und weg!

Hier möchte ich festhalten, wie ich dieses großartige Geschenk nutze.

D = deutsche Synchro, O = Original (meist deutschsprachige Filme), OmU = Original mit Untertiteln, OmdU = Original mit deutschen Untertiteln, ★ = besonders starker Film.

Monat 1

Nosferatu – Der Untote (OmdU)
Ich bin ein riesiger Fan des Originalfilms von F.W. Murnau und nach Sichtung war mein erster Impuls, dass es dieses Remake für mich nicht gebraucht hätte. Bill Skarsgårds Graf Orlok ist zwar ein gutturaler Schrecken sondergleichen, aber die gleiche Mystik wie bei Max Schreck will nicht aufkommen. Was ich aber groß finde: Lily-Rose Depp kann der Rolle der Ellen Hutter extreme Tiefe abringen. Wie sie die gesamte Männer- und Vampirwelt mit ihrem Sein in die Verzweiflung stürzt ist fantastisch, modern und feministisch und hebt ihre Rolle und damit den gesamten Film über den Rang einer reinen Neuauflage.
Des Teufels Bad (O) ★
Unbedingt schauen! Ich weiß gar nicht wo ich anfangen soll, um die Faszination, die dieser Streifen auf mich ausübt, einzufangen. Die Prämisse ist, dass vor gar nicht so langer Zeit (Mitte des 18. Jahrhunderts und damit zur Zeit der sogenannten Aufklärung) Religion eine so große Rolle gespielt hatte, dass Menschen eher einen Mord statt Selbstmord begingen. So konnte man sowohl dem trostlosen Leben als auch der ewigen Verdammnis entgehen, die auf Menschen, die den Freitod wählen, wartet. Denn nach einem Mord kann man schließlich noch die Beichte ablegen und so Erlösung erfahren. Die Bilder, die alltägliche Gewalt (wobei es hier zur Abwechslung nicht vorrangig um Gewalt gegen Frauen geht), die Überforderung der Menschen im Umgang mit psychischen Problemen, der Soundtrack von Hauptdarstellerin Anja Plaschg… Alles an diesem Film geht unter die Haut!
Konklave (D)
Dieser Film ist ein willkommenes Abtauchen in einen Kosmos, in der die Leisen, die Zweifelnden, die Mutigen am Ende die Oberhand behalten und damit die Welt besser machen. Als Utopie ein Genuss, als Mahnung, dass wir in der Realität sehr wert davon entfernt sind, ein Schlag ins Gesicht.
A Real Pain (OmU)
Ich wollte diesen Film wirklich mögen. Wirklich! Culkin kann ich mir stundenlang ansehen und er liefert eine tolle Performance ab. Der Oscar wäre nicht unverdient. An Eisenberg störe ich mich. Sowohl an seinem Schauspiel als auch an seiner Regie. Sein typischer Dauerneurotiker à la Zombieland und Adventureland nervt mich hier etwas und seine Regie lässt den tollen Einstellungen, den Lachern und auch den nachdenklichen Momenten wenig Zeit und Raum sich zu entfalten. (J, wenn du das hier liest: Tut mir leid, dass ich den Film schon gesehen habe und etwas negativ berichte. Ich will den Streifen trotzdem noch einmal mit dir sehen!)
Die leisen und die großen Töne (D)
Empfehlung meiner Schwiegermama. Trotz der traurigen Momente ist das ein absoluter Wohlfühlfilm. Die Franzosen haben das zurückhaltende und trotzdem eindringliche Spiel zur Kunstform erhoben und ich liebe es. Eine Ode an das Geschwisterdasein, die Musik und das Leben.
Der Graf von Monte Christo (D)
Und weil wir gerade beim französischen Film sind: Es ist eine Wonne dabei zuzusehen, wie gefühl- und eindrucksvoll unsere Nachbarn mit ihren literarischen Helden umgehen. Dieser Film ist ein Melodram mit tollen Schauwerten und angenehm wenig Kitsch. Die Ausstattung, die Kulissen, der arschcoole Graf; da passt einfach alles.
Kneecap (OmU) ★
Was soll ich zu diesem Film sagen, außer: TOP LAD! WHAT THE FUCK?! Ein Meilenstein! Film-des-Jahres-Material! Regisseur und Drehbuchautor Rich Peppiatt hat es geschafft eine Hymne auf die Sprache, die Musik, die Subkultur anzustimmen—eingebettet in die noch immer spürbaren Folgen der Troubles und damit in einen der blutigsten Konflikte Europas. Aber mit viel Witz und dem titelgebenden Band-Trio, das sich selbst spielt, wird daraus kein typisches Nordirland-Drama sondern eher mein aktueller Stimmungsaufheller. Der irisch-sprachige Hip Hop der drei drillt sich mit Wucht direkt ins Ohr und lebt da ein paar Wochen mietfrei. Bandcamp brachte eine Woche nach meinem Kinogang ein Interview mit Kneecap auf der Titelseite; kann ich nur empfehlen!
Emila Pérez (OmdU)
Ein queeres Gangster-Melodram-Musical? Ja klar, gib her, ich zieh’s mir rein! Denn für solch überbordende Genre-Explosionen ist das Kino da! Die drei Hauptdarstellerinnen sind fantastisch und legen angeführt von Zoe Saldaña eine Gesangseinlage nach der anderen hin. Sehr schade, dass die Kontroverse um Karla Sofía Gascón den Blick auf den Film und die Oscars trübt.

Monat 2

Ganz so oft wie im ersten Monat habe ich es diesmal nicht ins Kino geschafft. Dafür habe ich mit der Filmpalette vielleicht Kölns niedlichstes Kino für mich entdeckt.

Hundreds of Beavers (OmdU)

Der richtige Film zur richtigen Zeit, der seine Zutaten—Körper-Klamauk à la Buster Keaton und Einstellungen, die eines Wes Anderson würdig wären—perfekt mischt. Ich habe meine Eltern quasi genötigt, sich den Streifen in der Berliner Brotfabrik auch zu geben. Papa meinte:

Vielen Dank für die schöne Filmempfehlung. Wir haben viel gelacht, auch wenn es auch sehr ernste und zum Nachdenken anregende Szenen gab. Gespickt mit Filmzitaten erscheint er nach dem Intro wie eine kritische Zivilisationsgeschichte im Zeitraffer.
Heldin (O) ★
Ungemein intensiver und leider immer noch aktueller Kommentar zur Lage unseres Gesundheits- und Pflegesystems. Unglaublich, wie spannend es ist, der Titelheldin bei der Arbeit zu folgen. Gleichzeitig ist es eine schmerzhafte Erinnerung an die Balkon-Klatscher während Covid und daran, dass wir die wirklich systemrelevant arbeitenden Menschen immer noch nicht ansatzweise fair entlohnen.
When Evil Lurks (OmdU) ★
Ein Horror-Film, der allein durch seine argentinische Herkunft und das gesprochene Spanisch schon frisch daherkommt und mich völlig kalt erwischt hat. Erst nach und nach entspinnen sich die Lore und die Regeln der Filmwelt, die schon irgendwie unsere ist, aber ein abgeklärteres Verhältnis zu den ihr innewohnenden Schrecken hat—sehr faszinierend! Das Gore-Level hat für mich auch gepasst; eklig aber nicht drüber.
Flow (Stumm)
Ein wunderschön anzusehender Film mit einem frischen und ungewöhnlichen Animationsstil. Wie hier Freundschaft und das gemeinsame Reifen an bestandenen Abenteuern komplett ohne Dialog zelebriert wird, ist groß. Ob der Film aber in mir in dem Maße nachhallen wird, wie seine vielen Auszeichnungen suggerieren könnten, bezweifle ich.
Anora (OmdU)
Jetzt habe ich den großen Oscar-Abräumer endlich nachgeholt und ich muss gestehen: Ich bin nicht so begeistert, wie ich erwartet hätte. Dabei wurde meine Erwartungshaltung gar nicht so sehr durch die Academy gepusht, sondern eher durch Sean Bakers vorherige Werke The Florida Project und Red Rocket. Für mich fächert sich der Film in drei Phasen auf: Die Honey-Moon-Phase, festgehalten in spektakulären Bildern, in ihrer Fiebertraumigkeit aber auch irgendwie belanglos. Die zunehmenden Querelen bei der Suche nach Iwan, die fast Screwball-komödiantische Züge haben—I like! Die finale Einnstellung und die sich anschließenden komplett stillen Credits. Die haben mich hart erwischt und ordnen das Gesehene als Erlebnis mit großer Tragik ein. Ich hätte gern weitergeschaut; die richtig spannende Erzählung beginnt für mich erst am Ende. Vielleicht ist aber eben genau das Nichtgezeigte der große Kunstgriff hier.
Kusama: Infinity (OmU)
Auf einmal ist sie überall—erst lerne ich Yayoi Kusama im Museum Ludwig kennen, dann lerne ich mehr über sie im Kino. Der Doku-Streifen wurde im Rahmen der Reihe Painting Movies gezeigt, eine Kooperation von Kunstfreunden und dem Filkunstkino Filmpalette. Leider war dieser Film auch der vorerst letzte dieses Formats. Eingeladener Experte für Einführung und Diskussion nach dem Film war diesmal Willi Blöss, Autor einer Comic-Biografie über Kusama. Die Filmdoku arbeitet hervorragend heraus, was für eine starke und spannende Frau und Ausnahmekünstlerin Kusama ist und wie sie sich in einer von Männern und Egomanen dominierten (Kunst-)Welt durchgesetzt hat.

Monat 3

Dieser Monat war proppevoll mit anderen Dingen. Dennoch habe ich mir in meinem Stammkino Lichtspiele Kalk zwei richtige Perlen gegönnt.

I Like Movies (OmdU) ★
Ich muss kurz abschweifen: Durch den großartigen Podcast Anekdotisch Evident kenne ich das anthropologische Konzept der Liminalität nach Victor Turner. Dabei handelt es sich um einen Schwellenzustand, in dem sich ein Mensch nach der Trennung von einer Sozialordnung, aber vor der Angliederung an eine neue, befindet. In diesen liminalen Räumen kracht es meistens, weil mensch sich weder hier noch dort befindet und ob dieser Orientierungslosigkeit empfänglich ist für alle möglichen Kräfte von außen. Hauptcharakter Lawrence befindet sich in einem der härtesten dieser Räume: Dem Übergang von der Schule zur Universität. Da müssen Freundschaften neu verhandelt, das Verhältnis zu den Eltern neu eingepreist werden. Alles neben dem Horror der großen Unbekannten: das eigene akademische Vermögen. Lawrence hat als Übergangsritus das Filmemachen auserkoren, aber so richtig will das alles nicht klappen. Dabei ist der von Isaiah Lehtinen meisterhaft gespielte Lawrence so wunderbar ambivalent: Klar drücke ich ihm die Daumen, aber gleichzeitig will ich ihm alle paar Minuten eine langen. Das gibt dem Film eine über den Humor von Genre-Vertretern wie Superbad hinausgehende Tiefe. Nebenbei werden noch so kleine Themen wie Kritiker vs. Schöpfer, das Überwinden von Trauma durch Rückkehr in die Realität und Dissonanz zwischen Rezeption und Kreation angegangen. Ganz großes Kino!
Mystery Train (OmdU) ★

Das großartige Lichtspiele Kalk bringt in seiner Reihe Cinemania Kalk regelmäßig Klassiker zurück auf die große Leinwand. Diesmal ein Werk von Jim Jarmusch und WOW bin ich froh diesen Streifen im Kino gesehen zu haben. Jarmusch-typisch ist der Film episodenhaft und eher ein Gedicht als alles andere, obwohl in der dritten und letzten Episode fast so etwas wie Tarantino-esker Pulp dazukommt. Episode eins und zwei haben mir deutlich besser gefallen, da sie die kleinen Geschichten und alltäglichen Begegnungen „normaler“ Leben in wunderbaren Bildern und Dialogen einfangen. Wunderschönes Detail: Mein erster Film nach La vita è bella mit Nicoletta Braschi. Ich habe fast den gesamten Film durchgelächelt.

Episode eins hat sich mit den von Youki Kudo und Masatoshi Nagase dargestellten Charakteren direkt in mein Herz gespielt.

Monat 4

„Nur“ drei Filme, aber oho: Mein zweiter Film-Club nach Schöne Filme für schöne Menschen, das nächste Werk von Parasite-Regisseur Bong Joon Ho und großes Kino aus Deutschland.

The Crow (OmU)
Da dies auch mein erster Film mit dem Cologne Film Club war, habe ich The Crow schon an anderer Stelle eine Notiz gewidmet.
Mickey 17 (OmU)
Eine sehr imposante Tragik-Action-Komödie mit Body-Horror-Anleihen und einem absolut grandios aufspielenden Robert Pattinson, der in einer Doppelrolle brilliert. Das Obrigkeits-Gebashe ist wenig subtil, macht dank Mark Ruffalo und Toni Collette aber großen Spaß.
Köln 75 (O) ★
JAAAAAAAAAA! Ich freue mich immer sehr, wenn ein Film aus deutschen Landen was kann und dieser hier kann einiges. Er ist magisch! Toller Schnitt, tolle Pace, wunderbare junge Darsteller*innen—allen voran Mala Emde. Im deutschen Film macht mich immer der Leitspruch show, don’t tell nervös, der allzu oft eben nicht beachtet wird. Hier stellt das kein Problem dar. Vor allem Alexander Scheer und John Magaro sind so ein wunderbar skuriles Team, das hervorragend die Klaviatur 😏 der leisen aber nicht weniger kraftvollen Töne spielt. Absoluter Geniestreich: Die die vierte Wand durchbrechende Figur des Jazz-Journalisten (gespielt von Michael Chernus), der mit uns in einer tollen One-Take-Szene durch die Geschichte des Jazz sprintet. Die ganze Geschichte ist sagenhaft und typisch kölsch, würde ich sagen.