Querfinanzierung

reMarkable besitzt doch tatsächlich die Dreistigkeit in meinem Urlaub ein neues Produkt herauszubringen—das reMarkable Paper Pro Move. Das ist in erster Linie eine schmerzliche Erinnerung an die Teuerungsrate: Mein reMarkable 2 habe ich am 1. April 2020 noch für 399 € gekauft, dazu einen Marker Plus für 40 € und ein Polymer-Weave-Folio in der Farbe Gray für 20 €; Gesamtpreis 459 €. Für das Move sieht die Rechnung wie folgt aus: 479 € für das Gerät, 50 € für den Marker Plus (wegen neuer Minen muss ein neuer Marker gekauft werden, das Standardmodell gibt es ohne Aufpreis) und 99 € für ein Mosaic-Weave-Folio in der Farbe Cobalt; macht abzüglich 29 € Folio-Discount einen Gesamtpreis von 599 €.

Auf den zweiten Blick bilde ich mir jedoch ein, dass ich für das portable reMarkable die perfekten Anwendungsfälle mitbringe: Ich gehe leidenschaftlich gerne in Museen, auf Führungen und zu politischen oder kulturellen Podiumsdiskussionen … und seit einigen Jahren schreibe ich mit. Auch in Gesprächen mit meinen Kunden muss ich mitschreiben! Das reMarkable 2 ist da nicht immer dabei, weil doch zu klobig und kein Gerät, das in einem Gespräch per Muskelgedächtnis in meine Hand wandert. Das Mittippen auf meinem Handy wiederum wirkt so, als würde ich gerade einen Flame-War auf Reddit führen. Das geht soweit, dass Katharina sich manchmal genötigt fühlt, den Referierenden und Umstehenden zu erklären, dass ich mir nur Notizen mache.

Fassen wir zusammen: Stolzer Preis, aber ich hab Bock und sogar einen halbwegs brauchbaren Anwendungsfall für etwas, dass normale Menschen wahrscheinlich mit Notizblock und Kuli lösen würden. (Aber habe ich erwähnt, dass die Firmware-Version 3.22 das Durchsuchen von handschriftlichen Notizen ermöglicht?? Killer-Feature!) Wie kann ich jetzt entscheiden, ob ich das Teil wirklich brauche oder ob mir mein Dopamin da einen Impulskauf-Streich spielt? Dafür habe ich mir das Konzept der Querfinanzierung ausgeborgt: Wenn in mir der Wunsch aufkeimt, etwas zu kaufen, das ich nicht zweifelsfrei benötige und das vor Privileg und dem nötigen verfügbaren Einkommen nur so trieft, muss ich mir den Einkaufspreis erst durch Privateinnahmen verdienen. Verkäufe auf Kleinanzeigen, Ebay, Momox; Blut spenden; das Erfrischungsgeld vom Wahlhelfen—das alles zählt. Als wäre ich wieder zehn und müsste erst mein Taschengeld zusammenkratzen.

Im Laufe der letzten Jahre habe ich mir so schon folgende Gadgets zusammengespart:

Das Zusammensparen dauert Wochen, teilweise Monate. Das gibt mir die Möglichkeit mein Dopamin zu beruhigen und über Sinn und Unsinn der Anschaffung zu reflektieren. Zu einem großen Teil ist dieser Mechanismus auch Selbstschutz: In den letzten Jahren habe ich gelernt, dass das Sich-mehr-Leisten, weil die finanziellen Rahmenbedingungen aufgestockt werden, ein schleichender und heimtückischer kleiner Bastard ist. Ich erhoffe mir von Querfinanzierung auch eine Stärkung gegen die Lockungen des Kapitalismus und eine Festigung meiner Überzeugung, dass nur weil mensch sich etwas leisten kann, ein Kauf kein Automatismus sein darf. Querfinanzierung als Dopamin-Korrektiv und Mahner während des in mir immerwährenden Kampfes zwischen Technikbegeisterung und Minimalismus.